Sonntag, 11. Juni 2017

Autismusfachtagung in Dortmund - oder wie Inklusion NICHT funktioniert.

Am vergangenen Wochenende (9.6.-11.6.2017) lud der Bundesverband Autismus Deutschland e.V. (Elternverband) zur 15. Fachtagung nach Dortmund ein und ich war mit dabei. Nun gehört es nicht zu meinen Gewohnheiten über Veranstaltungen zu bashen, da ich weiß, wieviel Arbeit hinter einem solchen Kongress steckt und mir durchaus bewusst ist, dass bei Veranstaltungen in dieser Größenordnung auch mal was daneben gehen kann. Doch was ich auf dieser Fachtagung erlebt habe, war für mich ein herber Schlag ins Gesicht.

Daher habe ich mich entschlossen, meine Erfahrungen auf dieser Veranstaltung in diesem Beitrag niederzuschreiben. Natürlich kann ich nicht für alle (wenigen) anwesenden Autisten sprechen. Daher spiegelt der Artikel nur meine persönliche Wahrnehmung wider und das, was ich in der Kommunikation mit anderen Teilnehmern vor Ort erfahren habe.

Leider war es mir nicht möglich den ersten Tag der Veranstaltung zu besuchen, da ich an diesem Tag selbst eine Buchlesung in Mönchengladbach hatte. Jedoch geht es in diesem Artikel auch weniger um die fachlichen Beiträge auf dem Kongress, sondern vielmehr um die organisatorischen Aspekte und die Haltung des Verbandes gegenüber Autisten im allgemeinen.


Schon am Eingang beschlich einen der leise Verdacht, dass diese Veranstaltung deutlich den Fachbesuchern, also hauptsächlich Therapeuten, Psychologen, Beratern, Ärzten usw. vorbehalten sein sollte. Nirgendwo gab es eine führende Beschilderung, die es Autisten, die ja zu einem nicht unerheblichen Teil Probleme mit der verbalen Kommunikation haben, helfen würde den richtigen Eingang zu finden. Kein Banner, keine Pfeile, keine Hinweisschilder. Bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes zur Förderung von Menschen mit Autismus sollte man erwarten können, dass doch zumindest ein Mindestmaß an Inklusionsgedanken in die Planung der Veranstaltung einfliest, wie man es eigentlich inzwischen selbst von kleineren Veranstaltungen mit einem deutlichen geringeren Budget gewohnt ist. So manch ein Autist wäre an dieser Stelle vermutlich bereits umgekehrt. Der erste Eindruck am Eingang vertiefte sich sehr schnell im weiteren Besuchsverlauf.

Ich will jedoch nicht versäumen auch die wenigen positiven Aspekte der Veranstalgungsplanung der Fairness halber zu erwähnen. So wurde den Besuchern beim Betreten des Kongresses neben einem Namensschild auch eine Mappe ausgehändigt, in der sich auch ein Plan des Gebäudes befand mit dessen Hilfe man sich orientieren und den Weg zu den verschiedenen Räumlichkeiten finden konnte. Jedoch haben sehr viele Autisten deutliche Probleme mit der Orientierung, so daß auch dieser Plan allein keine allzu große Hilfe war. In einem durchdachten Gesamtkonzept hätte es (wie man es ebenfalls von zahllosen anderen Veranstaltungen kennt) auch im Gebäude Hinweisschilder z.B. mit Pfeilen zu den einzelnen Sälen gegeben. Derartige Orientierungshilfen fehlten im gesamten Gebäude jedoch nahezu gänzlich. Hier und da waren Hinweise vorhanden, jedoch gingen diese entweder unter, oder waren nicht konsequent umgesetzt. Lediglich einige Mitarbeiter waren auf der Kongressfläche verteilt, die man hätte ansprechen können, doch auch dies gestaltet sich, wie eingangs erwähnt, für viele Autisten schwierig bis vollkommen unmöglich. Löblich ist die Tatsache, dass der Bundesverband zwar einen Ruheraum eingerichtet hat, in dem sich Autisten mit einer sensorischen Überlastung auch mal eine Auszeit gönnen könnten, jedoch war dieser Raum ebenfalls wenig bis gar nicht ausgeschildert.

An dieser Stelle mag so mancher Autist den Gedanken hegen, eine Begleitperson mit auf die Veranstaltung zu nehmen, die bei der Orientierung und Fragen behilflich sein kann. Nun sollte dies zwar auf einer inklusiven Veranstaltung nicht zwingend erforderlich sein, jedoch ist es zum Glück in der heutigen Zeit sehr oft möglich mit dem entsprechenden Vermerk "B" für Begleitperson im Behindertenausweis eine Begleitung der eigenen Wahl zu Veranstaltungen mitzubringen. Selbst Örtlichkeiten die ihrer Natur nach nichts mit Behinderungen oder Autismus zu tun haben, bieten heute solch einen Service dem Inklusionsgedanken folgend an. Dazu gehören nicht nur Veranstaltungen, sondern auch feste, alltägliche Einrichtungen wie Kinos, Museen, und auch Freizeitparks. Hierzu genügt es im Allgemeinen seinen Behindertenausweis mit dem entsprechenden Vermerk am Eingang, respektive der Kasse vorzuzeigen. Dabei kann die Begleitperson in aller Regel ohne zusätzliche Kosten mitgenommen werden, was auch nur fair ist, da gerade Menschen mit Behinderung nicht dafür bekannt sind ein finanziell luxuriöses Leben zu führen. Auf eine entsprechende Nachfrage am Stand von Autismus Deutschland e.V. ergab sich jedoch ein erschütternd anderes Bild. Laut Aussage der Mitarbeiter vor Ort, wäre es zwar prinzipiell möglich eine Assistenzperson mitzubringen, jedoch müsste man hierzu im Vorfeld der Veranstaltung !!! glaubhaft machen, dass man diagnostizierter Autist ist und ebenfalls nachweisen, dass es sich bei der Begleitperson um die regelmäßige Assistenz handelt und man nicht nur an diesem Tag, bzw. nur zu dieser Veranstaltung von dieser Person begleitet wird. Auf nochmalige Nachfrage, warum man es den Autisten hier so schwer macht an der Fachtagung teilzunehmen, obwohl selbst auf alltäglichen Veranstaltungen ein einfaches Vorzeigen des entsprechenden Ausweises genügen würde, wurde von den Mitarbeitern von Autismus Deutschland e.V. mitgeteilt, dass diese Frage doch wohl besser von den hauseigenen Juristen erörtert und beantwortet werden sollte.
Auch an dieser Stelle werden also bewusst massive bürokratische Hürden aufgebaut um dem Anschein nach autistische Besucher von dieser Autismusveranstaltung fern zu halten. Wieder einmal stärkt dieses Verhalten die schon seit Jahren in der Autismusszene bestehenden Wahrnehmung, dass der Bundesverband als ausgewiesene Elternorganisation lieber über Autisten redet, kommuniziert und entscheidet, als mit ihnen. Dabei ist gerade in einem Umfeld, dass von Mißverständnissen zwischen Autisten und neurotypischen Menschen aufgrund der unterschiedlichen Wahrnehmung geprägt ist, die Kommunikation auf Augenhöhe der entscheidende Faktor für Erfolg. Sei es nun in der Therapie, der Forschung oder dem Verständnis des Autismus im Allgemeinen. Darüber hinaus sollte eine Autismusorganisation, egal welcher Couleur, es Autisten auf leichtem Wege ermöglichen, sich selbst fortzubilden. Nicht gerade selten sind doch Autisten durchaus Experten in eigener Sache und gerade hochfunktionale Autisten sind erwiesenermaßen hervorragend geeignet, als vermittelnde Schnittstelle im Verständnis um den Autismus zwischen neurotypischen Experten und anderen Autisten zu fungieren. Meiner bescheidenen Meinung nach, verliert eine Organisation die diese Umstände nicht berücksichtigt und auch als leuchtendes Beispiel für den Inklusionsgedanken voran geht, ihren eigenen Pfad zunehmend aus den Augen.

Ein weiteres Beispiel, in dem sich diese durchaus als überheblich wahrnehmbare Haltung widerspiegelt war das moderierte Forum für Autisten am Abend des zweiten Veranstaltungstages. In dem Veranstaltungskalender stand zu lesen "Moderiertes Forum nur für Menschen mit Autismus". Hier verwundert es doch sehr, dass ausgerechnet auf einer inklusiven Veranstaltung eine solche Form der Abgrenzung voran getrieben wird. Inklusion muss der Definition nach immer in zwei Richtungen passieren. Einige anwesende Autisten empfanden es in persönlichen Gesprächen zunächst als "nette Geste", dass man ihnen auf der Veranstaltung einen eigenen kleinen Rahmen zur Verfügung stellte. Im Gesamtbild gesehen, revidierten die meisten von ihnen ihre Meinung später jedoch. Denn in seiner Gesamtheit betrachtet ergab sich ein vollständig anderes Bild. Während die großen Säle den "Fachleuten" vorbehalten blieben um ihre Anliegen der breiten Besuchermasse zu vermitteln, wurden die Gruppe von Autisten die vor Ort waren, in das Besenkammer Äquivalent der vorhandenen Säle abgeschoben. Nebenbei bemerkt, war dies die einzige Veranstaltung in den gesammten drei Tagen des Kongresses, die in diesem kleinen Raum stattfand. Nun mag die Gegenseite zwar argumentieren, dass ja nur wenige Autisten den Weg auf diese Fachtagung gefunden haben und ein großer Saal sicherlich einen Overkill dargestellt hätte. Jedoch gilt es hierbei auch zu bedenken, dass viele Autisten (man bedenke die absurd hohe Arbeitslosenquote unter Autisten) sich den mit 130,- Euro bereits ermäßigten Eintrittspreis schlicht nicht leisten können. Vor allem wenn man die noch anfallenden Kosten für Hotelübernachtungen noch hinzu rechnet. Dies alles ist jedoch nicht der entscheidende Punkt, warum bei so manchem Autisten spätestens bei dem moderierten Forum ein unangenehmes Gefühl des fremdschämens aufkam. Die Wahrnehmung war, dass die Autisten zwar untereinander in diesem Forum diskutieren konnten (natürlich geführt von einer neurotypischen Moderatorin), dass es aber dem Anschein nach nicht gewünscht war, dass eben auch die neurotypischen Fachkräfte hier etwas aus der inneren Gedankenwelt der anwesenden Autisten lernen. Ich persönlich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass ich dies als einen deutlichen Mangel an Respekt den Personen gegenüber wahrgenommen habe, die der Bunderverband letztlich doch zu vertreten und zu fördern wünscht.

Im nun vorletzten Punkt dieses Artikels möchte ich nochmals den eben genannten Umstand aufgreifen, dass bei diesem Forum eben auch die "Fachwelt" von der Gruppe der Autisten abgetrennt wurde. Es ist leider ein trauriger Erfahrungswert, dass viele Fachleute auf dem Gebiet des Autismus zwar fachlich sicherlich kompetent sind, aber dass es ihnen oftmals am Verständnis für den Autismus fehlt. Häufig drängt sich der Eindruck auf, dass viele - aber beileibe natürlich nicht alle, das wäre unfair zu behaupten - Fachleute Autismus nur aus Studien, wissenschaftlichen Papers und Datenblättern zu kennen scheinen. Die innere Welt der Autisten bleibt ihnen jedoch oftmals verborgen. Ein Beispiel dafür war ein Vortrag, den ich am letzten Tag der Veranstaltung besucht habe. Ich verzichte an dieser Stelle bewusst darauf den Namen des Vortragenden oder den Titel des Vortrags zu nennen, da hier nicht gezielt auf eine Person eingedroschen werden soll. Vielmehr soll dies nur exemplarisch für das eben beschriebene, viel grundlegendere Problem dienen.
In diesem, eigentlich sehr interessanten und fachlich auch wirklich kompetenten Vortrag passierte etwas, dass verdeutlicht, wie wenig die Verhaltensweisen von Autisten oft auch von Experten verstanden und verinnerlicht werden.
Der Sprecher beabsichtigte in seinem Vortrag dem Publikum wohl zu vermitteln, wie irritierend manchmal unerwartetes Verhalten von Autisten auf unvorbereitete neurotypische Hilfskräfte wirken kann. Dazu immitierte er plötzlich und ohne Vorwarnung das Verhalten von manchen Autisten, die in einen Overload geraten. Dazu brüllte in das Mikrofon und ahmte (ich verzichte bewusst auf den Begriff nachäffen) das Verhalten von Autisten im Overload nach. Dies kam so plötzlich und unerwartet, dass seine Immitation mich und eine Reihe anderer Autisten in diesem Moment tatsächlich in einen Overload trieb und wir den Vortrag sturmartig verlassen mussten, da wir nicht mehr in der Lage waren, dem Ganzen zu folgen und auch draußen noch eine ganze Weile brauchten um die Fassung und die Orientierung wiederzufinden.

Abgerundet wurde der, vom inklusiven Standpunkt aus betrachtet, verherende Eindruck der Veranstaltung, als gegen Ende der Fachtagung bereits der Abbau begann und sorglose Mitarbeiter verschiedener Stände und Organisationen die dort vertreten waren neben mir und einigen anderen Autisten noch reihenweise Luftballons mit Nadeln zerplatzen ließen. Jeder, der auch nur im Mindesten schon einmal im Autismusbereich gearbeitet hat weiß, dass so etwas ein absolutes No-Go ist.

So bleibt abschließend nur zu sagen, dass diese Veranstaltung, so fachlich korrekt und kompetent sie sein mochte, nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass im Verhältnis zwischen Autisten und dem Bundesverband noch sehr viel im argen und noch immens viel Arbeit vor uns liegt. Leider war nicht zu erkennen, dass sich von Seiten des Verbandes hier in den letzten Jahren viel getan hätte. Sind doch die meisten dieser Kritikpunkte nicht neu, sondern werden von Seiten gerade der erwachsenen Autisten seit Jahren kommuniziert. Jedoch bleiben diese Stimmen, egal wie oft und laut sie sprechen, vom Verband bis heute weitgehend ungehört.
So sieht keine Inklusion aus und so funktioniert auch keine Zusammenarbeit, die letztlich die Lebenssituation von Autisten verbessern soll, obwohl dies doch eigentlich das erklärte Ziel einer jeden Autismusorganisation sein sollte.







Von Sam Becker und Marco Gaib

2 Kommentare:

  1. Ich bin erschüttert. Da gibt es noch viel zu tun für den Bundesverband. Ich hoffe, er liest deinen Blog und nimmt dies als Gedankenanstoss für die nächste Tagung.

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  2. Vielen Dank für diese eindrucksvolle Rückmeldung und völlig nachvollziehbare Kritik.
    Frau Kaminski und ihre Mitstreiter werden sich sicher konstruktiv damit auseinandersetzen und in der Folge ihre wichtige Arbeit weiter verbessern, so dass sie Betroffene im selben Maße wie schon Fachleute bereichert.

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